Ich habe ein Problem mit dem ich mich gerne an euch wenden möchte. Vielleicht kann mir ein Außenstehender ja bessere Tipps geben, als die Menschen die mich kennen.
Es geht um meinen Vater. Ich hatte keine leichte Kindheit. Mein ganzes Leben ist geprägt vom Alkoholismus meines Vaters und der psychischen Gewalt die er auf mich auswirkte. Geschlagen hat er mich sehr selten und dann auch nur auf den Po, also körperliche Gewalt kann ich ihm nicht vorwerfen. Es ist nur das Psychische.
Das Verhältnis zu meinen Eltern ist komisch. Mit meiner Mutter rede ich offen über alles. Sie weiß den Grund für meine psychischen Probleme, auch wenn ihr nicht klar ist, wie groß deren Ausmaß ist. Sie will es vermutlich auch gar nicht wissen.
Meinem Vater habe ich nicht die Wahrheit gesagt. Ich habe Dinge vorgeschoben die ihn nicht belasten. Da er sich weigert über meine Krankheit zu sprechen ging das auch ohne Probleme.
In meinem Klinikaufenthalt im letzten Jahr wurde sehr schnell klar, dass meine Probleme im direkten Zusammenhang mit meiner Kindheit stehen und damit natürlich mit meinem Vater zu tun haben. Meine damalige Psychologin hat angeregt, dass ich mit meinem Vater darüber sprechen solle. Sie glaubt, dass mir das bei der Aufarbeitung helfen könnte und dabei, mich von den negativen Gefühlen und Gedanken zu distanzieren. Sie hätte sogar ein Gespräch mit ihm und mir geleitet, damit ich es einfacher habe. Ich habe damals aus vielen Gründen abgelehnt.
Mein Vater ist nach zwei Entzügen mit anschließenden trockenen Perioden wieder voll im Alkoholwahn. Ich lebe schon seit 7 Jahren nicht mehr zu Hause und trotzdem nimmt mich das sehr mit. Er hat einen Entzug gemacht als ich 17 war und war danach 3 oder 4 Jahre trocken. Der Rückfall damals hat bei mir schlimme körperliche Symptome ausgelöst. Seitdem bin ich nur damit beschäftigt einigermaßen zu überleben. Er hatte dann irgendwann einen Herzinfarkt, verlor komplett die Kontrolle über sich und landete im Krankenhaus. Etwa in der Zeit habe ich mich freiwillig in die Psychiatrie einweisen lassen. Es gab einen erneuten Entzug, ich hatte wieder Hoffnung.
Mitlerweile trinkt er wieder. Der Abstand zwischen Entzug und Rückfall war diesmal nicht mal ein Jahr. Ich vermute das wird auch der letzte Rückfall sein. Er hat schon in der letzten Kur gesagt, noch einen Entzug macht er nicht.
Mir geht es in den letzten Wochen immer schlechter. Ich entwickle immer mehr Ängste, habe körperliche Schmerzen und bin so unheimlich müde. Mir geht es wirklich schlecht. Den Kontakt kann und will ich zu meinem Vater nicht abbrechen. Das würde bedeuten, dass ich auch keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter und meiner Schwester haben könnte.
Meine größte Angst ist unheimlich egoistisch und ich schäme mich dafür.
Bei seinem letzten Krankenhausaufenthalt haben die Ärzte meinem Vater gesagt, dass er großes Glück hatte. Seine Organe sind geschädigt, er hat ein schwaches Herz und Diabetes. Er hätte nur noch ein paar Monate so weiter machen können und wäre dann an der Sucht gestorben.
Ich bin mir sehr sicher, dass mein Vater nicht mehr lange leben wird. Vielleicht noch ein 3/4 Jahr, vielleicht 1 1/2, aber sicher nicht länger. Meine Angst ist, dass er stirbt, ohne dass ich ihm alles sagen konnte. Er hält sich für den besten Vater der Welt. Er erinnert mich andauernd daran, dass er sein letztes Hemd für uns (meine Geschwister und mich) gegeben hätte und uns immer sein letztes Geld gegeben hat. Ganz tief drin, weiß er es besser, aber er verdrängt es
Ich habe Angst, dass er stirbt und ich dann nie wieder gesund werden kann, weil ich ihm nie ins Gesicht gesagt habe, dass er ein beschissener Vater war der Schuld daran ist, dass es mir seit Jahren so dreckig geht. Dass ich Beruhigungsmittel nehmen muss, weil mich mein Kopf verrückt macht und dass ich häufig nur mit Schlafmitteln zur Ruhe komme nachts. Er ist schuld und ich will, dass er diese Schuld mit ins Grab nimmt. Jedes Wort das mir auf der Seele brennt soll er mitnehmen.
Ich weiß nur nicht wie ich das machen soll. Ich habe keinen Therapeuten im Moment. Ich stehe auf der Warteliste und muss monatelang warten. Bis dahin kann es schon zu spät sein.
Wenn ich es ihm ohne psychologische Begleitung sage, dann habe ich Angst vor seiner Reaktion. Er ist ein Choleriker und ich gehe jede Wette ein, dass er sich so sehr aufregt, dass er wieder einen Herzinfarkt bekommt. Ich will nicht schuld sein, wenn er an einem Infarkt stirbt.
Ich weiß nicht was ich tun soll. Meine damalige Psychologin hat mir zu einem Brief geraten. Mal abgesehen davon, dass auch da das Risiko mit dem Infarkt bleibt, würde er den nicht mal zu Ende lesen. Außerdem bin ich sicher, dass mein Bruder und meine Mutter, die beide mit ihm unter einem Dach leben seine Wut darüber abbekommen würden.
Was soll ich denn tun? Ich befinde mich in einer Zwickmühle. Hart ausgedrückt "entweder er oder ich". Zwischen all der Wut kommt dann aber auch immer wieder die Liebe hoch. Trotz all dem was er mir und meiner Familie angetan hat, trotz all den schweren Jahren und der Folgen die mir das Leben so verdammt schwer machen, liebe ich meinen Vater. Er ist mein Papa und ich will ihm nicht weh tun. Ich wünsche mir immer noch, obwohl ich schon lange weiß, dass ich das nie haben werde, einen nüchternen Vater, der mich in den Arm nehmen kann und mir sagen kann, dass er mich auch liebt. Einen Vater, dem ich verzeihen kann und von dem ich einfach sagen kann, das ist mein Papa und ich bin stolz seine Tochter zu sein.
Ich weiß wirklich nicht was ich tun soll. Das ganze Thema liegt mir wie ein großer Stein im Magen und ich finde einfach keine Lösung und keinen Ausweg.