Schlafschnee

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Schlafschnee

Beitragvon Lionoire » Mo. 12.03.2007, 19:13

Eisig jagte der Nordwind durch den kahlen Wald, ließ heulend hier und da das letzte blatt ziellos zu boden irren.
obwohl es scho spät war, lag noch immer der nebel des morgens auf der gefrorenen erde. und einzig der aufkommende sturm brachte ein leises rascheln in die toten laubmassen, wirbelte hier und da eines auf, riss es mit sich, nur um es weit entfernt achtlos fallen zu lassen.
plötzlich drang ein weiterer laut durch den milchigen dunst, leise kaum hörbar, das entfernte schlage von metall, der Klang von Totenglocken, weit am ende des waldes.
ein seufzen, eine leise klage, die der wind ungehört aus seinen stürmischen fängen entließ, verhallte unbeachtet.
das schlagen kam, wie es schien, langsam näher, langsam träge, als sei es in der leblosen umgebung nicht fähig, den kopf zu heben, erhobenen hauptes seines weges zu gehen, wurde zu einem Rauschen, gemischt mit dem Klirren von eisenketten.
es war das Rauschen hunderter füße, die sich mühsam, erschöpft und zitternd vor kälte und hunger druch das kniehohe, fahlbraune laub quälten, das den harten morast bedeckte.
langsam schälte sich ein gewaltiger, stolzer schimmel aus dem Nebel, geritten von einer person im überlangen schwarzen mantel, dessen kapuze das gesicht darunter in finsternis barg.
die sonne war, durch den nebel und die düstere wolkenwand unbemerkt, im untergang begriffen, lediglich die zunehmende dämmerung verriet, dass sie je da gewesen war.
hinter dem reiter tauchten zwei reihen rappen auf, die teilnahmslos die köpfe hängen ließen, und allmählihc wurde auch die unförmige masse zerlumpter gestalten, kaum mehr menschen denn wesen, erkennbar.
die gesichter waren blau, die fetzen beinahe eine parodie ihrer selbst im angesicht des russischen winters, Hände erfroren und die FÜße mit den so unendlich schweren ketten taub und kalt. schnee lag in der luft.

Tänzelnd hielt der Schimmel mitten im laubgewimmel an.
ein seufzer der erleichterung entfuhr den jämmerlichen, mehr toten denn lebendigen wesen, als sie sich auf das knisternde laub legten.
doch er war nicht von dem stummen klageschrei, der eisiger als der wind und der rauhe winter über ihnen in der aufkommenden finsternis lag und alle hoffnung erstickte, zu unterscheiden.


wenige augenblicke später begann es zu schneien, es schneite und schneite, dichte, faustgroße flocken bedeckten den wald innerhalb einer stunde meterhoch mit stille.
der schrei verklang-die nacht hatte ihn erhört.
Lionoire
 

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