Ein Bild (Kurzgeschichte)

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Ein Bild (Kurzgeschichte)

Beitragvon Aino » Mo. 13.06.2011, 20:24

Ein Bild

Wie kann ein Bild einen Menschen derartig emotional berühren, dass er in dem Moment, als er es zum ersten Mal sieht, nichts anderes tun möchte, als sich unwiderruflich in Luft aufzulösen angesichts der Allmacht, die es in seiner übernatürlichen Schönheit auf ihn ausübt? Die Tiefe, die es umgibt, ist atemberaubend. Die farbliche Brillanz betörend. Ich möchte in deinen Armen liegen und für immer weinen, mich nie wieder in meiner Menschlichkeit unterlegen fühlen müssen. Siehst du meine Unbedeutsamkeit? Meine Ohnmacht? Mein verlaufenes Mascara? Ich möchte dahin fließen wie die Tusche, die meine Wimpern bedeckte. Möchte mich auflösen und in meine unzähligen Atome zerfallen. Mich endlich frei fühlen. Mein Herz bleibt einen kurzen Moment stehen. Fängt wieder an zu schlagen und pegelt sich im Rhythmus des Bildes ein.
Wenn ich beginne, mich aufzulösen, wärest du dann so lieb, mich in deinen liebevollen Händen aufzufangen und mich zum Meer zu tragen? Egal, wie viele Kilometer und Stunden es von dir entfernt ist. Es geht ohnehin schon lange nicht mehr um Belanglosigkeiten wie Entfernungen oder Zeiteinheiten. Jetzt, wo wir in etwas viel größerem und bedeutsamerem gefangen sind, als Raum und Zeit. Bitte, bringe mich zum Meer und verliere mich bloß nicht auf dem Weg dorthin. Verliere nichts von mir. Nicht einmal eine Erinnerung an mich. Halte mich fest umschlungen in beiden Händen.
Bringe mich zum Strand, barfuß. Sei am besten ganz nackt und ohne Befangenheiten, denn so kann ich dich noch ein letztes Mal erleben, wie du wirklich bist und wie ich dich am meisten liebe. Ein wunderschöner Sonnenuntergang. Deine langen Haare werden im Wind wehen, während eine einzige stille Träne des Abschieds über deine Wange laufen wird. Du wirst wissen, dass du mich nie wieder sehen wirst, wirst dir vollkommen darüber bewusst sein, wenn du einen letzten Kuss in deine Handflächen hauchst und mir die Luft zum Atmen geben wirst, die mich davontragen soll.
Dann wirst in das kalte, strömende Wasser waten und eine Weile die stürmische See betrachten, bevor du dich auf die Knie sinken lässt. Deine Oberschenkel bis zur Hälfte mit Wasser bedeckt. Die Stellen, an denen dich die gen Land brausenden Wellen berühren sind fast bis zu deinen makellosen Brüsten nass. Das spritzende Wasser der tosenden See vermischt sich auf deinem Gesicht mit denen Tränen. Große, grüne Augen, mit Tränen benetzt. Das Salzwasser wird wahrscheinlich in deinen Augen brennen, doch es wird dir nichts ausmachen. Lass mich bitte gehen. Gebe die Atome, die einmal ich gewesen bin, langsam und behutsam ins Wasser. Vergiss mein nicht. Liebe mich für immer.
Ich weiß, dass du es tun wirst.
Irgendwo werde ich an einer fremden Küste wieder zum Leben erwachen. Meine kleinsten Einzelteile werden sich ohne Vorbehalt wieder zusammenfügen. Vielleicht werde ich sogar noch ein wenig perfekter sein. Die blonden Haare weniger spröde, die blauen Augen strahlender, das runde Gesicht einen Hauch femininer. Ich werde atemberaubend, geradezu bezaubernd aussehen, wenn ich, umhüllt von diesem unbekannten Sand, zum Leben erwachen werde.
Ich werde in einem azurblauen Tuch gekleidet sein, denn diese Farbe würde meine noch kräftiger leuchtenden Augen unnachahmlich betonen, und ich werde langsam den Strand entlang wandern, bis ich auf ein ausgewachsenes menschliches Männchen treffen werde. Ich werde mich mit ihm unterhalten, mich freundlich, aufgeschlossen und unbefangen geben. So, wie ich noch nie gewesen bin und auch nie sein werde. So, wie du es bist. Ich werde diesen Mann dazu bringen, mich zu mögen. Ich werde ihn davon überzeugen, dass er keinen sehnlicheren Wunsch hegt, als mich bei sich wohnen zu lassen, bis ich eine Arbeit und eine eigene Wohnung in ihrer Heimatstadt gefunden habe. Vielleicht werde ich in der Zwischenzeit auch mit ihm schlafen, um ihn nicht ungeduldig zu stimmen.
Wenn ich mir eine eigene Existenz aufgebaut haben werde, werde ich losziehen und die nächste Person finden, die mich bedingungslos liebt.
Und dich werde ich bis dahin längst vergessen haben.


by Aino
Aino
 

Re: Ein Bild (Kurzgeschichte)

Beitragvon martin » Mo. 13.06.2011, 21:29

stimmt mich sehr nachdenklich, sehr sogar. spiegelt es dein eigenes leid und die vision eines besseren wieder?
wie phoenix aus der asche?
martin
 

Re: Ein Bild (Kurzgeschichte)

Beitragvon Aino » Di. 14.06.2011, 09:19

Nein, das spiegelt mich sogut wie gar nicht wieder. Ich meine nicht unbedingt mich, wenn ich "ich" schreibe. In der Geschichte geht es eigentlich um einen narzisstischen Menschen. Aber ich habe das irgendwann mal geschrieben, als ich manisch war, das heißt, ich habe eigentlich nur drauf los geschrieben, ohne Konzept und ohne Idee und habe es hinterher selbst interpretiert. Deswegen kann man es wohl interpretieren, wie mann will :)
Aino
 

Re: Ein Bild (Kurzgeschichte)

Beitragvon martin » Di. 14.06.2011, 10:33

wie mann will, also ich? :D
sollte in keinsterweise als kritik gelten was ich geschrieben habe., nur verstehe ich nicht die haltung des ganzen.
nazisstische persönlichkeitsstörung im sinne von ablehnung der eigenen person mittels schwachen selbstwertgefühl nach innen, im wechselspiel mit dem überaus ausgeprägten selbstwertgefühl nach aussen hin?
dann ergibt es einen sinn,
schreibt du weiterhin aino? ich würde gerne mehr davon lesen, falls du weiter proben deines könnens hier reinstellst.
martin
 


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