von Lingenia » Do. 23.06.2005, 19:03
Großvater
Es war einmal ein Großvater und sein kleiner Enkelsohn, der kam am Abend öfter,
um auf dem Knie des Großvaters zu sitzen
und die vielen Fragen von Kindern zu stellen.
Eines Tages kam der Enkel zu seinem Großvater
mit einem Ausdruck von Wut in seinem Gesicht.
Der Großvater sagte: "Komm, setz dich,
und erzählte mir, was heute passiert ist."
Das Kind setze sich nieder und legte sein Kinn auf das Knie des Großvaters.
Er schaute empor zu dem faltigen, nußbraunen Gesicht und den freundlich
blickenden dunklen Augen:
die Wut des Kindes verwandelte sich in stille Tränen.
Der Junge sagte: "Ich ging heute mit meinem Vater in die Stadt,
um die Felle zu verkaufen, die er in den letzten Monaten gesammelt hatte. I
ch war glücklich darüber, denn Vater sagte, dass,
da ich ihm beim Fallenstellen geholfen hatte,
ich etwas von ihm bekommen würde. Etwas, das ich mir wünschte.
Ich war so aufgeregt, in der Handelstation zu sein, denn ich war dort noch niemals gewesen.
Ich guckte mir viele Dinge an und schließlich fand ich ein Messer.
Es war klein, aber hatte für mich genau die richtige Größe,
und so bekam Vater es für mich.
An dieser Stelle legte der Junge sein Kopf auf das Knie des Großvaters und wurde still.
Der Großvater legte sanft seine Hand auf das rabenschwarze Haar des Jungen und sagte:
"Und was geschah dann?"
Einige Stadtjungen kamen, sahen mich, umringten mich und begannen,
schlimme Sachen zu sagen. Sie nannten mich schmutzig und dumm und sagten,
dass ich solch ein schönes Messer nicht haben dürfte.
Der größte von den Jungen schubste mich nach hinten und ich fiel über einen der anderen Jungen.
Dabei ließ ich mein Messer fallen und
einer von ihnen schnappte es sich und alle rannten weg und lachten.
In diesem Moment kam die Wut des Jungen zurück:
"Ich hasse sie, ich hasse sie alle!" Der Großvater sagte:
"Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.
Ich selbst, vor langer Zeit, fühlte großen Hasss auf alle, die so viel genommen hatten,
ohne darüber nachzudenken. Aber Haß ist etwas,
was dich selbst runterzieht und verletzt deinen Feind nicht.
Es ist so, als ob du selbst das Gift nimmst und dir wünscht,
dass dein Feind sterben würde.
Ich habe viele Male mit solchen Gefühlen gekämpft.
Es ist so, als ob zwei Wölfe in mir leben würden, einer ist weiß und einer ist schwarz.
Der weiße Wolf ist gutartig und richtet kein Leid an.
Er lebt in Harmonie mit allem, was um ihn herum ist und macht keinen Angriff,
wenn kein Angriff beabsichtigt war. Aber er wird kämpfen, wenn es berechtigt ist, es zu tun,
und er wird auf die rechte Art kämpfen Der schwarze Wolf jedoch ist voll von Wut.
Das kleinste Details löst in ihm einen Wutanfall aus.
Er bekämpft jeden, die ganze Zeit, aus keinerlei Anlaß.
Er kann überhaupt nicht mehr nachdenken, denn seine Wut und sein Hass sind so groß.
Es ist eine hilflose Wut, denn seine Wut wird nichts ändern.
Manchmal ist es sehr schwer mit diesen beiden Wölfen in mir zu leben,
denn beide von ihnen versuchen,
meinen Geist zu beherrschen.
Der Junge schaute intensiv in die Augen des Großvaters und fragte:
"Wer von beiden gewinnt, Großvater?"
Der Großvater lächelte und sagte: "Der, den ich nähre."