von SoundOfSilence » Di. 22.12.2015, 20:09
Hallo Fee,
ich habe keine Depression, hatte aber vor einigen Jahren eine Zeit lang eine Art "depressive Episode", weil ich aufgrund anderer psychischer Belastungen wohl ziemlich dekompensiert habe. Ich habe, was für mich ganz und gar untypisch ist, damals all meinen Antrieb verloren und es kaum noch geschafft, mich regelmäßig zu duschen und die Hunde wenigstens halbwegs zu versorgen, damit mein (Ex)Mann nicht alles machen muss. Vor dieser Erfahrung habe ich nicht verstanden, was es bedeutet, depressiv zu sein. Antriebslos zu sein. Nun verstehe ich es (besser).
Und ich verstehe auch die Menschen, die denken, man müsse aber arbeiten, man solle aber was tun. Man dürfe sich nicht so hängen lassen - und die es vielleicht einfach nur "faul" finden, sich im Leben nur um sich selber zu drehen. Ich weiß, dass die Menschen es einfach nicht nachvollziehen können. Wie das ist, so antriebslos zu sein. Und die sehen eben auch die andere Seite: Dass es auch nicht hilft, wenn man sein Leben verpasst/vertut und sich dann dafür auch noch selber Vorwürfe macht am Ende. Weil einen das ja auch noch herunterzieht. Und natürlich sehen viele Leute auch, dass es gewisse Chancen, "etwas aus seinem Leben zu machen", nicht lange gibt im Leben, sondern vor allem dann, wenn man jung ist (und das ist nun mal auch so).
Ich für mich habe inzwischen die Sicht, dass es, wenn man nicht weiß, was man machen will (weil einem nichts Freude macht), zwei Möglichkeiten gibt: Man sitzt zu Hause, kreist um sich selbst und hofft, dass einem irgendwas einfällt, das wieder Freude auslöst und dann eben auch Antrieb. Oder: man "macht" in der Zwischenzeit etwas, auch wenn es einem keine Freude macht. Vielleicht findet man dadurch Anregung.
Ich glaube: Beides ist immens wichtig! Lass dich nicht in einem Leben gefangen halten, das dich nicht glücklich macht. Wenn du also arbeiten gehst, und diene Beschäftigung macht dich nicht glücklich, dann kannst du auch arbeiten UND weitersuchen, was du wirklich machen willst! Aber: fange dich auch selber nicht in einem Leben, das aus nichts besteht, weil du nicht darauf kommst, was dich glücklich machen könnte... Denn: NICHTS macht auch nicht glücklich.
Genauso wichtig ist es meiner Meinung nach, sich sowohl mit dem "Warum" auseinander zu setzen (also, warum empfindest du keine Freude mehr, was hast du für Störungen, wie werden diese am besten behandelt - WAS BRAUCHST DU HIER UND JETZT), als auch mit dem "Wie ändern" ganz praktisch zu beginnen. Also: Ein Gleichgewicht finden!
Ob das für dich konkret nun bedeutet, in der Rente zu bleiben, aber etwas AKTIVER zu sein. Oder ob es bedeutet, aus der Rente heraus zu gehen (um den "Zwang" etwas tun zu müssen als Antrieb zu nutzen) und dir aber dennoch auch die nötige Ruhe und Zeit für dich und deine Therapie zu nehmen - das wirst du selber am Besten entscheiden können, und sicher mit deiner Therapeutin besser besprechen können als mit deinen Eltern oder einem Hausarzt. Aber freuen würde ich mich, wenn du weniger "Entweder-oder" denken könntest, und mal schaust, wo es in deinem Leben in dieser Frage ein "und" geben könnte.
Denn manchmal kommt der Appetit tatsächlich beim essen...