Krankhaft in der Vergangenheit leben

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Krankhaft in der Vergangenheit leben

Beitragvon Kafka » Sa. 11.09.2010, 00:35

Hallo zusammen. Ich habe mich hier angemeldet, weil ich Hilfe brauche. Normalerweise offenbare ich mich im Internet nicht in der Form, aber im Moment sehe ich kein anderes Ventil. Ich hoffe , dass mir jemand helfen kann, oder dass sich das überhaupt jemand durchliest...

Vielleicht klingt der Thread-Titel nicht wirklich "schlimm". Aber gerade die letzten Wochen sind für mich die Hölle. Der Grund ist ganz einfach genannt: Ich hänge und klammere so sehr an der Vergangenheit, dass es mich selbst nur noch unglücklich macht. Jeder Versuch, dagegen etwas zu unternehmen ist bisher vollends gescheitert.

Wo fang ich am besten an?
Schwierig. Ich glaube, es war 2004, als ich das erste mal begann, über vergangene Zeiten nachzudenken (bin 1991er Baujahr) und begann, meine Kindheit zu vermissen. Hängt in dem Fall sicherlich damit zusammen, dass sich meine Eltern in diesem Jahr getrennt haben. Jedenfalls war das noch in einem verkraftbaren Rahmen, und außer gelegentlichem Selbstmitleid und Gejammer über die aktuelle Situation war das nicht viel. Ich hab trotzdem souverän weitergelebt.
Dann kam irgendwann das Jahr 2007, ich war 15 und meine Jugend begann in der Form, wie man es sich vorstellt. In dem Moment hab ich meine Situation richtig genossen und war zufrieden. Mit mir und der Welt. Bis dann diese problemlose Fassade bröckelte, und im Jahr 2008 standen Prüfungen und Private Probleme (vornehmlich mit der Patchwork-Familie, da sich meine Mutter einen neuen Lebensgefährten zulegte) auf dem Plan, statt, wie im Jahr zuvor, Mädchen, Partys und ein sorgloses Leben. Ich begann 2007 hinterherzutrauern und mich in die Beschissenheit des Moments hineinzusteigern. Um jeden Preis wollte ich die Dinge nicht so wie sie 2008 waren und fragte mich, was aus dem Lebensgefühl von 2007 wurde. Ich begann, regelmäßig Lieder vom letzten Jahr zu hören, mir alte Fotos anzugucken etc. All das war schon sehr gegenwartsfremd, doch immer noch in einem verkraftbaren Rahmen. Schließlich konnte ich wenigstens noch irgendwie optimistisch in die Zukunft blicken.

Doch auch diese Zeit verging. Es kam 2009, und der wohl schönste Herbst meines Lebens. Die 12. Klasse, also das Schuljahr 2009/2010, war so ziemlich das Schönste was ich bis jetzt erlebt habe. Es hat Alles gestimmt, vorallem eben jener besagte Herbst, in dem ich glücklich eine Beziehung führte, viel viel Zeit mit meinen Freunden verbringen konnte und sogar am Ende ich das Abitur geschafft habe.
Zu dieser Zeit gehört so viel. So viele Erinnerungen, so viele Menschen, so viel Musik. Aber auch das verging.
Meine Freundin machte mit mir im Winter Schluss, was ich zunächst wegstecken konnte.

Dann kam das Leben nach dem Abi. Ich hatte auf ein FSJ spekuliert (da ich nicht direkt nach der Schule studieren wollte), keins bekommen, und habe nun eine Ausbildung begonnen, die mir zwar viel Geld bringt, aber mich in keiner Art und Weise glücklich macht. Und hier sind wir beim Ausgangsproblem angelangt.

Nach dem Abi trennten sich viele Wege, die Freundschaften, die sich noch gehalten haben, sind zwar noch da, aber nicht in der Form wie Früher. Man sieht sich kaum noch, kommunizieren fällt schwer (außer übers Internet). Ich sehe, wie Alles, was den letzten Herbst so besonders gemacht, ins einer Konsistenz bröckelt. Zu allem Überfluss bin ich jetzt in eine eigene Wohnung gezogen (alleine), und hier geht der Alptraum erst richtig los. Seit einer Woche habe ich jeden Abend zu Hause im Bett gelegen und vor dem Schlafen plötzlich heulen müssen. Ich musste immer (!) ohne es zu Wollen an Früher denken. An meine Mutter und meinen Bruder, die ich jetzt höchstens 1-2 mal die Woche sehen kann, an all die unwiederbringlichen Ereignisse, die sich 2009/2010 zugetragen haben, an meine Ex, mit der ich heute keinen Kontakt mehr habe, was mich Stück für Stück kaputt macht. Immer in dem Moment, in dem ich realisiere, dass Früher vorbei ist, und ich nun ein neues Leben führe, verlier ich die Nerven. Schon beim Verfassen dieser Zeilen versinke ich in einem selbstgeschaffenem Loch der Melancholie und Einsamkeit. Hinzu kommt die Tatsache, dass mich meine Ausbildung vehement unterfordert und ich mich nach geistigem Zuwachs sehne, und diese monotone Arbeit einfach anödet. Gut, dafür gibt es ja die Berufsschule, aber... die hat nichts mit meinen Interessen zutun. Und ist außerdem auch kein Anspruch. Ich wollte ja so gerne Psychologie studieren, was mit meinem Mittelklasse-Abi nicht möglich war, und so häng ich jetzt in diesem Unternehmen fest. Und ich sehe momentan auch keinen Ausweg für meine Zukunft.

Aber was ist schon Zukunft? Die Gegenwart macht mich ja sowieso schon fertig, weil sie nicht die Vergangenheit ist. Und ich selbst tu mir auch keine Gefallen, da ich in aller Regelmäßigkeit Lieder aus dieser Zeit (Herbst 2009) höre, mir dabei die Bilder von Damals ansehe und die Erinnerungen, bzw. das was davon noch da ist, abrufe. Und dabei heul ich. Nun könnte man sagen: Selbst Schuld, wenn du dich auch noch selbst damit konfrontierst. Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich erwische mich selber dabei, wie ich überwiegend die Musik höre, die mich wenigstens musikalisch zurückversetzt und denke in so gut wie jeden Moment, in dem ich nicht abgelenkt oder gefordert werde (was leider zu oft eintritt), an Früher. Ich würde gerne, wirklichs ehr gerne was gegen diese "Flashbacks" tun... Nur was?

Wer will, kann meine Gedanken hier auch als post-pubertäre Jammerei ansehen und mich nicht ernst nehmen. Wer das tut, brauch hier gar nicht erst posten und seiner Unsensibilität freien Lauf lassen. Hilft Niemand. Ich persönlich habe jedenfalls vor ein paar Minuten den Entschluss gefasst, das Alles hier zu offenbaren, denn so geht es nicht weiter. Ich brauche irgendeine Formd er Hilfe. Diese Steigerung der Vergangenheitssehnsucht war fast monoton steigend in den lezten Jahren und beängstigt mich inzwischen. Es ist wie in einem Gefängnis der Gedanken. Ich finde keinen Ausweg, und im Moment habe ich wirklich keine Ahnung, wie ich weiterleben soll, wenn Früher einfach nicht Heute ist. Meine Hauptfrage, die in mir aufkommt, kann nur wie folgt lauten: Bin ich psyschich krank? Wenn ja, wie nennt man dieses Syndrom dann? Habe bei Google noch nichts Vergleichbares gefunden... Umso gespannter bin ich, ob und wie mir hier jemand antwortet.

Danke dass ihr euch den Text durchgelesen hab. Ich wäre über jeden einzelnen Tipp oder eigenen Erfahrungsbericht dankbar. Fragen könnt ihr mir natürlich auch stellen, wenn ihr noch welche habt, ich wette mir fällt eh noch was ein, was ich hier reineditieren werden...


Kafka
Kafka
 

Re: Krankhaft in der Vergangenheit leben

Beitragvon Atisha » Sa. 11.09.2010, 01:00

"Ich wollte ja so gerne Psychologie studieren, was mit meinem Mittelklasse-Abi nicht möglich war" Ich kenne mich da ja überhaupt nicht aus wie das so läuft mit den Studienplätzen, es ist schon schlimm nicht studieren zu dürfen was man möchte.

Nun, du hattest eine wunderbare Zeit. Vielleicht auch eine Zeit in der du abgehoben von der Welt leben durftest. Manch einer kann das sein Leben lang, wird irgend ein Akademiker und schwebt in allen Wolken. Dich hat nun das Leben eingeholt, die harte Realität lässt sich blicken. Vielleicht sollten wir darüber reden wie du dich besser darauf einstellen kannst und damit zurecht kommst. Klinisch krank bist du so denke ich mal noch lange nicht. Aber Depressionen kann man auch beim Verlust von Lebensbildern bekommen.
Du bist noch jung, hast ein Abi und bist gesund. Die ganze Welt steht dir offen, kämpfe ein bisschen und es werden sich dir neue Wege zeigen. Geb nicht auf was zu studieren, vielleicht was anderes, vielleicht etwas später, aber dafür mit einem reiferen Blick.
Ich finde es auch voll ok, dass du so sehr der so schönen Vergangenheit hinterherhängst und auch heulst. Schließlich ist es ein großer Verlust. Aber du wirst eines Tages darüber hinwegsein und wieder frohgemut in die Zukunft blicken.
Atisha
 

Re: Krankhaft in der Vergangenheit leben

Beitragvon Kenny1988 » Fr. 26.07.2013, 18:09

Hallo,
da dein Beitrag schon etwas älter, hoffe ich, dass es dir mittlerweile besser geht. Ich hatte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Ich bin Baujahr 1988. Habe meinen Sekundarschulabschluss im Jahr 2005 gemacht. Bis dahin war in meinem Leben alles okay. Ich war einer der, wenn nicht sogar der beliebteste Schüler in meiner Klasse. Ich sorgte für die gute Laune außer- und innerhalb des Unterrichts (also ein typischer Klassenclown) war sportlich, clever und hatte eine verdammt hübsche und einfühlsame Freundin.
Dies sollte sich mit dem Beginn meiner Ausbildung 2005 ändern.
Obwohl ich meine Leistung im Betrieb und in der Berufsschule erbrachte wurde ich unter den Arbeitskollegen aus mir bis heute unerklärlichen Gründen nicht akzeptiert und extrem gemobbt. Ich war der einzige Lehrling unter 30 Gesellen. Zu dieser Zeit begannen meine sentimentalen Ausflüge in die Vergangenheit. Ich erinnerte mich an Zeiten meiner kompletten Schullaufbahn (1. bis 10. Klasse) zurück. Obwohl ich immer ziemlich traurig wurde konnte ich jedoch im Gegensatz zu dir nicht weinen, was die Sache für mich noch schwerer machte. Das Problem steigerte sich konstant während der 3 Lehrjahre. Meine Freundin verlor ich nach einem halben Jahr Lehrzeit, da ich begann über die Probleme mit niemanden zu reden, sondern sie am Wochenende mit Kumpels, einem halben Kasten Bier und einer Flasche Fusel zu ertränken. Dies tat ich fast jedes Wochenende. Die ungelösten Probleme in Verbindung mit dem vielen Alkohol machten mich extrem aggressiv. Dies endet dann meistens in irgendwelchen Wortgefechten oder Schlägereien mit anderen Disko- oder Kneipenbesuchern. Zu dieser Zeit trat ich auch einer Gruppe Fussballhooligans bei. Meine Freundin suchte ständig das Gespräch, weil sie merkte das diese Wesensveränderung einen Grund hat. Ich öffnete mich aber ihr gegenüber damals nicht. Heute weis ich, dass das ein riesen Fehler war. Der Preis war der Verlust meiner Freundin, die ich über alles liebte. Ich zog mich immer mehr in die Vergangenheit zurück. Tränen flossen bei mir immer noch nicht. Es war aber eine riesige Selbstqual, die nur jemand versteht, der schonmal in der gleichen Situation war.
Aus Angst vor dem gesellschaftlichen Absturz zog ich meine Lehre durch und beendete sie auch erfolgreich. Mein Chef bot mir eine Übernahme an, die ich logischerweise ablehnte. Stattdessen verbrachte ich die nächsten Jahre mit Fachabitur, Grundwehrdienst, den ein oder anderen Gelegenheitsjob und einem Studium, was ich aber leider aus Leistungsgründen abbrach.
Während des Fachabiturs (von 2008-2009) verbesserte sich meine Lage wieder. Ich war wieder beliebt und anerkannt. Ich musste mir diese Anerkennung noch nicht einmal mit Spässen auf Kosten anderer holen, wie ich das in der 8.,9., und 10. Klasse getan habe. Mobbing am eigenen Leib bzw. an der eigenen Seele zu erfahren hat mich sozusagen sensibilisiert. Die Ausflüge in die Vergangenheit halbierten sich von einem auf den anderen Tag.
Dieses Problem erledigte sich komplett nachdem ich Ende 2008 auch eine neue Freundin kennengelernt habe, mit der ich heute schon fast seit 5 Jahren glücklich zusammenlebe. Mein Trinkverhalten hat sich auch normalisiert und mit Hooligans und Gewalt hab ich heute nichts mehr am Hut. Heute denke ich auch gern an die Vergangenheit zurück. Nur halt in einem normalen Maß. Es deprimiert mich auch nicht mehr, weil meine jetzige Lebenssituation nahezu perfekt ist. Meine Lebensumstände waren also der Auslöser für dieses und die anderen Probleme. Ich würde dir also raten ändere das was dich unglücklich macht und dazu veranlasst in der Vergangenheit zu leben. Sollte das nicht klappen empfehle ich dir professionelle Hilfe.
Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute und das du aus dieser Krise raus kommst.
Kenny1988
 


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