Hallo zusammen,
ich hoffe man verzeiht es mir, wenn ich etwas weiter ausholen muss, um die Situation einigermaßen darstellen zu können. Ich bin männlich (29), seit 7 Jahren mit meiner Frau (33) zusammen und seit 4 Jahren glücklich verheiratet. Nun aber erstmal ein paar Infos zu meiner Frau. Als wir uns damals kennenlernten (über ein Online-Spiel), kam sie frisch aus einer psychiatrischen (oder psychosomatischen? gibts da nen unterschied) Klinik, weil sie extrem schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hatte, was letztendlich zu einem kompletten Zusammenbruch geführt hat.
Logischerweise, wollte sie also erstmal keinen Mann mehr in ihr leben lassen. Dennoch haben wir aber täglich miteinander gezockt und uns unterhalten. Die Einzelheiten kann ich euch hier jetzt sparen, jedenfalls kamen wir ein paar Monate später zusammen, führten erstmal eine Fernbeziehung (120 km getrennt) und es dauerte eine ganze Weile bis sie Vertrauen mir gegenüber aufbauen konnte, was bei der Vorgeschichte aber nicht weiter schlimm war. Ansonsten hatte sie vor 14 Jahren einen Unfall, durch den sie auch heute noch starke Schmerzen hat, und sehr starke Schmerzmittel schlucken muss, die aber nur bedingt helfen.
Seit 6 Jahren leben wir zusammen und führen eine sehr glückliche Beziehung. Wir sprechen über alles und sollte es doch mal zu einem Streit kommen, was zum Glück sehr selten ist, haben wir auch gelernt diesen zu führen ohne dass sich die Fronten verhärten.
Ansonsten hat sie einen Sohn mitgebracht, dem gegenüber ich versucht habe eine Beziehung aufzubauen, was mir aber nicht gelungen ist. Egal was man ihm gesagt oder mit ihm unternommen hat, es half nichts. Er hat entweder gemacht was er will, oder es war ihm nie genug was er bekommen hatte. Mittlerweile ist es soweit, dass ich mich emotional komplett von ihm abgeschottet habe, meine Frau übrigens auch, wodurch wir eigentlich schon insgeheim beschlossen haben, dass wir uns jetzt noch 4 Jahre da durchbeissen, bis er volljährig ist und ihn dann rauswerfen. Jedoch kam kürzlich Bewegung in die Sache, da man jetzt den Verdacht auf ADHS bei ihm gestellt hat, und er kommt demnächst für 3 Monate in eine psychiatrische Jugendtagesklinik, in der das dann abgeklärt wird und evtl eine Medikation eingestellt wird, durch die sich sein Verhalten erheblich verbessen könnte. Das gab uns beiden dann wieder etwas Hoffnung, zumal uns auch gesagt wurde, dass wir nicht daran schuld sind an der Situation.
Vor einiger Zeit erzählte mir meine Frau dann, dass sie aufgrund ihrer Schmerzen (und ich schätze mal der Depression die sie ja zwangsweise immernoch hat) nur noch vor ein Auto werfen wollen würde, hauptsache die Schmerzen hören auf. Letztendlich sei ich der einzige Grund weshalb sie es nicht macht. Wir kümmerten uns dann darum, dass sie eine Therapie macht, und glücklicherweise fand sie sehr schnell einen Therapeuten der ihr sympathisch war. Allerdings meinte dieser, dass sie ihm zu instabil und selbstmordgefährdet sei und er deshalb wünscht, dass sie erstmal eine stationäre Therapie macht und danach erst die ambulante bei ihm. Gesagt getan, passende Klinik ist ja direkt im Ort, und 2 oder 3 Monate später stand ihre Einweisung in die Klinik an.
Seit sie dort drin ist fingen meine Probleme an, bzw haben sie sich bemerkbar gemacht. Sie ist jetzt seit 10 Tagen in der Klinik, ich besuche sie jeden Tag und dennoch fehlt sie mir so unglaublich. Sie war schon oft in Krankenhäusern, auch weiter weg, sodass ich sie nicht besuchen konnte, da war das nie ein Problem, allerdings wusste ich auch, dass sie nach 1 - 2 Wochen wieder zurück kommt. Diesmal sind es zwischen 6 und 10 Wochen. Dafür darf sie (abgesehen vom 1.) an den Wochenenden nach Hause. Ich habe angefangen ein "Gefühls-Tagebuch" zu schreiben, was allein schon ein Zeichen bei mir ist, dass es mir nicht gut geht. Obwohl ich sie täglich sehe, und weiß, dass es ihr da drin gut geht und ihr geholfen wird, geht es mir von Tag zu Tag schlechter.
Anfangs war es nur eine sehr starke Sehnsucht, gefolgt von einer tiefen Traurigkeit bis hin zu ner gewissen Antriebslosigkeit. Ich konnte mir diese teils doch recht extremen Gefühle nicht erklären, da ich sie ja, wie gesagt täglich sehe. Sie ist nur nicht daheim, um mich rum und abends im Bett liegt sie auch nicht neben mir. Die Tage danach haben sich dann immer stärkere Verlustängste eingestellt, die vorgestern zu ihrem bisherigen Höhepunkt kamen, in dem ich regelmäßig vor dem geistigen Auge ihre Todesmeldung erhalten habe, und mir dann zuschauen konnte wie ich daran zusammenbreche. Seit 4 Tagen esse ich kaum noch was. Zum einen habe ich selten ein Hungergefühl und sollte ich eins haben, kann ich mich entweder nicht aufraffen, oder, ich weiß auch nicht... es ist fast so als hätte ich das Gefühl kein Essen verdient zu haben. Als würde ich irgendwie auch noch körperlich leiden wollen.
Je länger ich mein Gefühls-Tagebuch schreibe, desto mehr fällt mir über mich selbst auf. Dass ich all meine Kraft, mein Selbstvertrauen aus der Liebe meiner Frau ziehe, wusste ich vorhin schon. Aber dass ich wieder zu dem kleinen, von selbstzweifeln zerfressenen, unsicheren Jungen von früher werde, wenn sie mal nicht um mich ist, hätte ich nicht erwartet.
Außerdem wurde mir jetzt erst bewusst, dass ich fremde Menschen nicht mag, bzw Angst davor habe. Nicht dass sie mir etwas antun könnten, aber sobald mich jemand auch nur ansieht und dabei mit irgendwem spricht, lästern sie über mich. Lachen sie, lachen sie natürlich über mich. Selbst wenn sie mich einfach nur ansehen und nicht mal den Mund bewegen, naja, dann denken sie sich halt ihren Teil über mich. Ich kann einfach nicht auf andere Leute zugehen, weil ich immer Angst habe, dass ich verurteilt werde (im Beruf stört mich das nicht, da weiß ich scheinbar was ich mache, und hab denke ich mal in der Situation genug Selbstvertrauen). Das geht soweit, dass ich mit unserem Hund nur noch das nötigste gehe solange es hell ist und größere Runden erst im dunkeln, wenn mich niemand sieht.
Ironischerweise, mache ich selbst aber genau das, wovor ich Angst habe, dass es andere mir gegenüber machen. Egal wo ich hinsehe, überall werden Menschen die ich nicht kenne von mir vorverurteilt. Ein falscher Blick, ein nicht erwiderter Gruß, getragene Klamotten, die Art zu gehen etc... dagegen kann ich nicht mal was tun, das läuft ganz automatisch ab.
Bin ich mit meiner Frau unterwegs, sind all die Selbstzweifel etc verschwunden, und ich wechsel in den Verteidigungsmodus. Mittlerweile warte ich schon darauf, dass Jemand meine Frau dumm anmacht um sie verteidigen zu können (verbal wohlgemerkt).
Generell bin ich nicht mehr die Ruhe in Person so wie früher, sondern eher impulsiv. Ich bin auch nicht mehr Kritikfähig (wobei ich nicht sicher bin, das jemals gewesen zu sein). Wenn mich meine Frau kritisiert, wird das von mir so lange ausdiskutiert bis sie klein bei gibt und bei anderen fühle ich mich persönlich angegriffen und versuche jeglichen Kontakt auf Lebzeiten mit den betroffenen Personen zu vermeiden.
Es ist auch sehr schwer für mich meine Gefühle einzuordnen, oder auch diese typischen Fragen "was denkst du gerade?" - da ist dann oft einfach nichts in meinem Kopf, ich kann nicht auf diese Frage antworten. Vielleicht habe ich zu lange nur auf meine Frau geachtet und wollte sie vor allem schützen, sodass ich meine eigenen Gefühle immer verdrängt habe. Nicht dass sie nie gefragt hätte wie es mir geht, aber von mir kam immer nur ein "passt schon" rein um sie nicht noch mehr zu belasten. Mittlerweile habe ich das Gefühl weiß ich selbst gar nicht mehr, was ich fühle.
Nachdem ich sie vorgestern ja in meinem Geiste immer wieder sterben sah, konnte ich sie leider nicht mehr anlügen auf die Frage wie es mir geht. Zwar wusste ich, dass sie zu mir halten wird, daran besteht bei keinem von uns Zweifel, wir sind bis zum Tode füreinander da, aber dennoch hatte ich Angst vor ihrer Reaktion, dass auch sie mich verurteilen würde. Sie hörte sich alles an, fragte ab und an mal nach, aber sie ist die einzige bisher die mich voll und ganz verstehen kann, immerhin hat sie ja die gleichen Gedanken, wenn auch aus anderen Gründen. Jedenfalls meinte sie, dass wir das gemeinsam hinbekommen und sie wird jetzt mehr darauf achten, dass ich zu meinen Gefühlen stehe und mich evtl auch an meinen Ängsten vor fremden Leuten arbeite. Nach diesem Gespräch ging es mir schlagartig wesentlich besser und ich konnte zum ersten mal ohne böse Gedanken den restlichen Abend verbringen und ins Bett gehen. Das hielt sich bis gestern Mittag, seitdem geht es wieder kontinuierlich bergab.
Allerdings drehen sich meine Gedanken jetzt nicht immer nur um meine Frau, sondern hauptsächlich um mich. Es wechselt zwischen einer Unsicherheit, Ungewissheit und Angst was meine Zukunft betrifft, einer tiefen Traurigkeit und einer ich weiß nicht, ist es Wut oder Enttäuschung über mich selbst, dass ich über diesen Mist nicht erhaben bin? Jedenfalls mache ich mir Sorgen, ob wir das wirklich zu zweit schaffen, auch wenn sie die ganzen Techniken anwenden kann die sie in der Klinik lernt. Zumal, schaffe ich wirklich noch weitere 5 - 8 Wochen "ohne sie"?
Aber was wären die Alternativen? Ambulante Therapie? Hatte ich vor 2 Jahren schonmal versucht. 4 Wochen überall anrufen bis man mal einen freien Platz ergattert, und dann ist die gute Frau gestörter als ich? Gut, vermutlich war sie das nicht, aber ich kam dennoch nicht klar mit ihr, also ging ich nur einmal hin.
Theoretisch wäre ich von der Klinik mehr angetan, da sie einem denke ich schneller und effektiver helfen kann. Obgleich ich weiß, dass es da erstmal sehr schwer wäre für mich. Ständig mit fremden Leuten kontakt, Gruppen-, Einzel-, Kunst,- und was weiß ich noch für Therapien. Allerdings sind meine Probleme wohl zu lächerlich für die psychosomatische Klinik. Ich mein, ich habe ja nicht mal ein schlimmes Erlebnis gehabt oder so, mir ist nie was schlimmes zugestoßen etc... da haben andere wohl eher nen Platz verdient.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mal wieso ich das hier schreibe. Ich denke ich kann meine Probleme selbst nicht einschätzen und grüble seit Tagen wie ich die nötige und richtige Hilfe bekommen könnte, ohne dass ich ewig betteln muss ernst genommen zu werden. Wohl die einfachste Art Hilfe zu bekommen, wäre sich die Pulsadern aufzuschneiden, natürlich so, dass man rechtzeitig gefunden wird. Aber zum einen würde ich meiner Frau nie so einen Schock versetzen, außerdem verletzt man dabei doch sehr leicht die Sehne und das ist natürlich erst recht Mist. Ich will halt nur nicht wieder Wochen oder Monate rumtelefonieren müssen, dann immer wieder kurz erklären was los ist nur um dann abgewimmelt zu werden. Hier in der Gegend gibt es zwar einige Therapeuten und allein hier im Ort gibt es zwei psychosomatische Kliniken, aber dennoch ist alles ständig belegt.
Aber habe ich überhaupt eine Chance es ohne professionelle Hilfe zu schaffen? Oder soll ich mich einfach weiter durchbeissen, denn sobald meine Frau aus der Klinik raus und wieder um mich rum ist, sind die Probleme sowieso wieder verdrängt?
Verzeiht mir wenn der Text viel zu lang geraten ist.