Ich war nie glücklich und bestritt bereits in meiner frühen Adoleszenz den Weg zu Therapeuten. Ich habe Klinikaufenthalte hinter mir und drei Psychotherapien, auch eine Hypnotherapie. Nichts und niemand konnte mir helfen. Nicht einmal ansatzweise. Auch diverse medikamentöse Behandlungen schlugen fehl.
Wenn man mir Charaktereigenschaften zuschreiben möchte, so ist dies ein eigentlich unmögliches Unterfangen. Ich habe je nach Definition keine Identität oder unendlich viele Identitäten. Ich bin völlig haltlos, habe kein Grundvertrauen zu mir selbst. Ich existiere quasi nur auf einer Metaebene des Denkens / Reflektierens.
Zahlreiche Krankheiten und pathologische Grundzüge wurden mir nun bereits von diversen Ärzten und Psychologen attestiert: Zwangsstörungen (Zwangsgedanken, Zwangshandlungen), schwergradige (agitierte) Depression, somatisierte Depression (Tinnitus, völliges Burnout), generalisierte Angststörung, Borderline-Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung, Derealisiationsphänomene, Depersonalisierung
Ich hatte mit meinen 25 Jahren bisher keine Freundin, keine sexuelle Interaktion, habe starke Berührungsängste, eine misanthropische Ader; wünsche mir jedoch gleichzeitig nichts sehnlicher, als einmal Liebe zu empfangen. Leider ist mir der Weg komplett versperrt, da eine Behandlung meiner ganzen psychischen Krankheiten unmöglich erscheint. Ich reflektiere viel, unendlich viel. Ich bin sehr kritisch und misstrauisch eingestellt – anderen Individuen gegenüber wie mir selbst.
Natürlich lässt sich fast nie endgültig sagen, worin die Ursachen für die Entstehung eines solch gewaltigen Krankheitskomplexes liegt. In jedem Fall wird letzterer wohl multifaktoriell bedingt sein. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, welche Erfahrungen dazu beigetragen haben, dass ich die Person geworden bin, die ich heute verkörpere.
1. Meine Mutter klagte kurze Zeit nach meiner Geburt über eine fehlende emotionale Bindung zu mir. Sie wusste in den ersten 12 Monaten meines Lebens nichts mit mir anzufangen. Sie starrte mich nach eigenen Angaben stundenlang nur an und wunderte sich derweil über ihre Unbeholfenheit, die innere Leere und über meine wenig komplexen Mimikspiele. Sie wartete monatelang darauf, dass ich emotionale Regungen abseits vom Weinen und Plärren zeige. Ihr war tatsächlich nicht bewusst, dass es zur Reifung des Kindes eines INPUTS bedarf, dass Kleinkinder nicht komplexe Verhaltensspielarten ex nihilo entwickeln, sondern es dazu äußerer Anregungen bedarf. Gegen Ende meines ersten Lebensjahres zeigte ich schon seltsame Verhaltensmuster: Ich biss meiner Mutter regelmäßig in die Brustwarze und starrte sie (nach Angaben meiner Mutter) anschließend mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen an.
2. Mein Vater verfügte über eine Unberechenbarkeit und eine cholerische Ader, die sich jedoch erst ab meinem dritten Lebensjahr offenbarte. Er liebte mich über alles, herzte mich; beging ich jedoch irgendeinen Fehler, schrie er mir mich nieder, drängte mich in eine Ecke, drohte mir minutenlang, deutete Schläge an (wenngleich diese nicht erfolgten). Widerworte duldete er nicht ("Du meinst also, dass du als kleines vierjärhriges Drecksstück deinem Vater irgendwelche Vorhaltungen machen kannst???!!!!). Als ich ihn mit etwa fünf Jahren allerdings erstmals scharf für seine herrische Ader kritisierte, wäre es beinahe zum Äußersten gekommen, vermute ich. Er griff zu einem Gegenstand und war unmittelbar davor, mir damit eins überzubraten. Allerdings stellte sich meine Mutter ihm in den Weg. Ihr konnte er nie etwas antun. Ich lebte ab meinem vierten Lebensjahr in stetiger Angst. Ich hielt mich mit Kritik an meinen Vater komplett bedeckt und schluckte meine Aggression, meinen Frust einfach hinunter. Ursprünglich war ich ein sehr offenes, lebhaftes Kind, extrovertiert und unbekümmert darüber, was andere von mir halten. Dies änderte sich schleichend, im Laufe der Zeit. Ich musste eine immer größere Disziplin aufbringen, angesichts des Verhaltens meines Vaters nicht zu explodieren. Ich fürchtete, wenn ich mal ausrastete, dass er mich umbringen würde. Ich hatte auch Angst, selbst so zu werden wie mein Vater. Ich wollte kein schlechter Mensch werden. Ich begann nun unentwegt, über mich zu reflektieren. Schaffte eine kritische Distanz zu meinem eigenen Verhalten und analysierte meine Aggressivität, meine faktische Kontrolle, die ich noch über mich habe...
3. Meine Mutter trichterte mir ständig ein, dass Männer absolut defizitäre Wesen, minderwertig seien. Dies leuchtete mir angesichts des Verhaltens meines Vaters und seiner Freunde ein. Ich entwickelte zusehends Schwierigkeiten mit meiner männlichen Identität, entwickelte gleichzeitig jedoch auch einen Frauenhass (muss jetzt nicht weiter erläutert werden...). Ich begann, mich völlig wertlos zu fühlen. Ich hatte keine männliche Identifikationsfigur.
Diese drei Faktoren prägten meine Persönlichkeit aller Wahrscheinlichkeit nach am meisten. Ich entwickelte mich nie zu einer Person mit festen Idealvorstellungen, legte mir auch nie wirklich feste Meinungen zu (ironischerweise schätze ich mich dafür heute irgendwo auch). Ich stellte alles in Frage, sah in allem eine Gefahr des Kontrollverlustes. Damit die Kontrolle gewahrt bleibt, konnte ich keine Person werden. Denn eine Person zu werden, eine feste Identität zu entwickeln, hieß für mich emotional absurderweise, irgendwo nicht mehr über mich zu reflektieren, sondern auf der Grundlage bestimmter fester Persönlichkeitszüge / Einstellungen / Ideale zu handeln.
Es wäre zu einfach, alles auf die prägenden Erlebnisse mit meinem Vater zu reduzieren. Ich spüre, dass eine starke Kontrollaffinität und eine grundlegende Unsicherheit schon sehr früh vorhanden war. Den Aspekten 2. und 3. kam wohl eher ein "Trigger-Effekt", ein verstärkender Effekt zu.
Nun wird es erst richtig pathologisch: Meine Mutter berichtete mir, dass ich im Alter von drei Jahren des Öfteren Käfer zerquetschte und anschließend furchtbar anfing zu weinen. Dies führte ich auch mit fünf und sechs Jahren noch so fort. Ich fing obendrein an, Katzen und Hunde zu quälen und fühlte mich dabei unglaublich mies. Ich weinte fürchterlich, während ich dies tat. Ich wollte es nicht tun und tat es trotzdem. Ich fing auch an, mich selbst zu verletzen und mich in potentielle suzidale Situationen zu begeben (z. B. indem ich mich auf Brücken stellte). Bis zu meiner Jugend war mir nicht genau klar, warum ich es tat. Nun unter Beleuchtung sämtlicher Zusammenhänge ist klar:
Es war ein stetiger Selbstest. Ich hatte kein Grundvertrauen zu mir, hatte Angst, böse / schlecht zu sein. Ich hatte Angst, böse / schlecht zu werden. Ich hatte Angst vor dem Kontrollverlust. Die obigen Taten waren gescheiterte Versuche, mir zu beweisen, dass ich nicht zu Schlechtem fähig bin. Versetzt euch einmal in diese pathologische Denkstruktur hinein: Ich wollte die totale Kontrolle, Gewissheit darüber, dass ich zumindest in gewisser Hinsicht eine gefestigte, komplett stabile Persönlichkeit bin. Visualisieren wir mich mal als kleines Kind vor unserer Hauskatze: Ich liebte meine Katze. Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich hatte jedoch kein Vertrauen zu mir selbst und fürchtete, ihr unter Umständen etwas tun zu können. Ich hatte Angst davor, so zu sein. Eigentlich mit der Absicht, diese Angst zu beseitigen, versuchte ich innerlich alles, um mich in einen hasserfüllten Zustand zu befördern. Ich strebte an, so hasserfüllt wie nur irgendwie möglich zu sein, um mir letztendlich jedoch zu beweisen, dass ich selbst in einem absoluten emotionalen Ausnahmezustand nicht dazu in der Lage bin, einem anderen Wesen etwas anzutun. Leider scheiterte dieser Selbstversuch. Und so war das letzte Vertrauen zu mir selbst unwiderruflich verloren gegangen. Die Angst, mir selbst oder anderen wehzutun, war omnipräsent. Letztlich habe ich einem anderen Menschen nie wehgetan, nicht einmal ansatzweise. Aber ich habe auch nie eine Person wirklich nah an mich herangelassen. Denn ich weiß: Je näher mir eine Person steht, je mehr ich sie liebe, desto intensiver und schrecklicher sind die Zwangsgedanken und das Verlangen, mir beweisen zu wollen, dass ich nicht zu Schrecklichem fähig bin.
Und so führte ich bisher ein beschissenes, einsames Dasein. Mein Leben ist eine einzige, nicht enden wollende Qual. Irrwitzigerweise habe ich sehr viele gute Freunde, die eigentlich jedoch nicht meine Freunde sind, weil sie mich gar nicht kennen. Ich habe gelernt, unglaublich viele Fassaden und Identitäten zu errichten. Ich schaffte es auch noch, meinen Bachelor sehr erfolgreich abzuschließen. Danach kam der totale Zusammenbruch. Ich habe jetzt auch noch ein ausgeprägtes Burnout und einen immer lauter werdenden Tinnitus, der mich kaum noch schlafen lässt. Meine ganzen psychischen Probleme haben sich nun auch noch körperlich manifestiert. Seither ist die Lebensqualität bei -100.
Ich würde so gerne einmal Glück verspüren, einmal lieben und geliebt werden. Ich würde so gerne einmal ohne schreckliche Zwangsgedanken Personen umarmen können. All dies bleibt mir jedoch verwehrt.
Ich weiß nicht mehr weiter. Medikamente konnten mich nur teilweise betäuben, Klinikbesuche waren eine Qual und Psychologen und Psychiater waren nur eine kleine Stütze, fanden indes keinen Ansatz, mir zu helfen bzw. mir dabei zu helfen, mir selbst zu helfen. Zu fundamental, zu grundlegend, zu festgefahren und zu weit fortgeschritten scheinen meine Beschwerden zu sein.

Ich kann nicht mehr.