Hi, ich bin grad nicht gut drauf und schreib mir das einfach mal von der Seele...
Heilig Abend war eigentlich erstaunlicherweise schön, bei meiner Familie ist das eher ungewöhnlich. Aber, ich hab grade eben erfahren, dass meine Oma Krebs hat...
Krebs ist in meiner Familie und im weiteren Bekanntenkreis nicht ungewöhnlich. Meine Oma väterlicherseits verabschiedet sich seit 2,5 Jahren vor jeder großen OP, weil alle Ärzte sich wundern dass sie noch lebt und das nicht mal versuchen zu verstecken. Die Geschichte aufzurollen wäre hier zu umfangreich - kurz gesagt: Es ist ein Wunder dass sie lebt, es kann jeden Moment vorbei sein und jeder verbleibende Moment ist für sie (und für uns, aber natürlich vor allem für sie) ein riesiges Leiden, dennoch ein Kampf ums Überleben. Es klingt echt blöd aber die Zeit mit ihr ist jetzt so heftig anstrengend, auch heftig triggernd weil sie meint ihre Vergangenheit ins Reine bringen zu müssen und dadurch auch in meiner Vergangenheit rumwühlt. Sie verändert sich charakterlich stark zum Guten, wird einsichtiger und freundlicher und entdeckt das Spirituelle für sich, aber sie ist dennoch noch einer der Menschen, die in meiner frühen Kindheit sehr krass verletzend waren.
Beide Opas hatten "weniger schlimmen" Krebs, sind jetzt geheilt. Bei meiner Mutter hat sich der Verdacht Gott sei Dank nicht bestätigt. Nun hat es aber auch noch meine Oma mütterlichseits...
Ich hasse es, Menschen leiden zu sehen, vor allem die die mir wichtig sind und die bereits genug Schlechtes erlebt haben (es ist so ungerecht wie viel Leid sich in einem Leben sammeln kann), da dann hilflos nebendran zu stehen, ich kann einfach nichts tun... Ich fühl mich schnell mitverantwortlich und mit gefordert, denen beizustehen und zuzuhören und Anstandsbesuche zu machen usw. aber das kostet so wahnsinnig viel Kraft. Manchmal würde ich denen gerne was abnehmen, aber bei Krebs geht das nicht.
Mein Therapeut sagt dazu, (also zu den alten Geschichten von den neuen weiß er ja noch nichts) dass ich meiner Familie nichts schuldig bin. Ich hab früher viel eingesteckt, muss man vielleicht dazusagen. Ich halte es trotzdem irgendwie für richtig, für Leute da zu sein... Ich würde mir in so Momenten ja auch wünschen dass welche da sind... Gaukle ich mir eine heile Welt vor und "hoffe dass das doch noch was wird?" Die Familie hat früher den Fehler gemacht, nicht für mich da zu sein - den gleichen Fehler will ich jetzt nicht auch machen, jetzt wo die Rollen getauscht sind, wo die schwach sind und ich stark bin. Die haben sich teilweise wirklich geändert. Natürlich muss ich aufpassen, dass es mich nicht triggert, und ich kann auch nicht alles tragen, hab selber genug Gepäck auf den Schultern, aber ich denke schon dass Beziehungen sich auch wieder verbessern können wenn man vergibt... Sie sind trotz allem meine Familie... Es ist heute anders als es früher war, ich bin nicht mehr das Kind von damals. Ich bin jetzt stärker und meine Rolle ist anders.
Bin ich zu harmoniebedürftig? Sollte ich mehr Abstand halten? Es weniger persönlich nehmen? Oder sollte ich das als Chance sehen, dass wir doch noch einen Neuanfang kriegen?
Ich will nicht zu loyal sein, also anhänglich an den Leuten, die in meinem Leben Täter waren - aber sie ändern sich offenbar ernsthaft, ich ändere mich - und wir sind trotz allem noch verwandt
Und Krebs hat natürlich eine genetische Komponente... Was wenn ich es auch bekomme? Alle direkten, genetischen Vorfahren wären schon betroffen... Ganz ehrlich, wenn ich mir das Leiden so ansehe... Ich würde einen schnellen Unfalltod vorziehen. Schnell und schmerzlos, am Besten mit ´ner coolen oder "wenigstens bisschen witzigen" Story dahinter oder um jemand anderes zu retten. Ich will nicht auf mein Ende "zuvegetieren"... Diese ganzen Chemos usw., das verlängert den Kampf, aber ist das auch ein Sieg? Vielleicht ist die Medizin fortgeschrittener, falls ich es mal haben sollte - aber würde es in so einem Fall nicht trotzdem mehr Sinn machen, nochmal alles zu tun was man jemals tun wollte und dann einen gediegenen Abgang zu machen, bevor es so weit kommt? Das würde ich Leuten mit Krebs jetzt natürlich niemals so sagen - aber ich würde es verstehen, wenn sie es sagen würden. Aber die scheinen kämpfen zu wollen... Vielleicht ist das Leben wertvoller, wenn man versteht, dass man es gerade verliert.
Danke fürs Lesen, hat jetzt echt gut getan dem mal Luft zu machen. Falls jemand ne Idee/ Anregung/ Meinung/ ... dazu hat, wäre dankbar
Grüße von Viking