von Lionoire » Do. 15.02.2007, 20:10
es ist nicht nur ein text. es ist ein stück wahrheit. nämlich mein leben... oder das, was davon übrig ist.
mein leben der letzten beiden tage
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das folgende ist ein text vom tag, bevor es geschah.
Sie starrt mich an, unverhohlen. Ihr Blick ist leer, und dennoch trifft er mich. Ich halte ihrem Blick stand, keine von uns blinzelt. Kein Wimpernschlag. Ihre Augen sind rot, ihre langen Haare zerzaust, sie erinnert mich an jemanden, den ich einmal kurz getroffen habe. Jemand, dessen Namen ich vergessen habe. Ich weiß nicht mal, ob er einen hat. Dabei war dieser Jemand wichtig. Sehr wichtig. Ich hätte nie gedacht, sie je wieder zu treffen. Ja, ich bin mir fast sicher, dass sie es ist. Das Mädchen aus dem Krankenhaus. Wir haben uns kaum kennen gelernt, und doch gab es plötzlich jemanden, der mir etwas bedeutet hat. Jemand, für den ich bereit gewesen wäre, all das noch einmal durchzumachen. Dafür habe ich sie gehasst, in dem Moment, in dem es mir klar wurde. Sonst hätte ich es wieder getan, da bin ich sicher. Wenn sie nicht gewesen wäre. Dann wäre alles anders gewesen.
Wir standen uns gegenüber, sahen uns nur an, keine sagte ein Wort, keine von uns blinzelte. Und dennoch: sie hat sich so tief in mein Bewusstsein eingegraben, dass mein ganzes Weltbild zusammenbrach. Es war ein Abend Anfang Juni, Pfingstsonntag. Es war warm, und dämmrig. Der Sommer hatte begonnen, der Frühling war verschwunden, ausgelöscht. Nichts erinnerte mehr an das Leben, das hier einst gewesen war.
Ich hatte es fast geschafft. Und sie stand vor mir, und weinte lautlos. Sah mich an, und ließ sich von ihrem Schmerz in der Luft zerreißen. Und schon damals konnte ich ihr nicht widerstehen.
Sie starrt mich immer noch an, mit dem gleichen Blick wie in jener lauen Nacht. Leer. Nein, er ist nicht leer, vielmehr ist es übervoll: sie ist jung, doch aus ihrem Blick spricht der Schmerz vieler Tausend Jahre. Ich wende den Blick ab, ertrage es nicht länger, dass sie mich regungslos beobachtet. Ich weiß dass sie nicht so ist, wie sie scheint. Das braune Haar war damals noch heller. Sonst hat sich nichts verändert. Der Schmerz ist der gleiche geblieben. Ich habe die Augen geschlossen, doch dieses Bild geht nicht mehr aus meinem Kopf heraus: sie trägt fast nichts, nur ein leichtes Kleidchen. Ihr Blick. Wirr. Und doch klar. Er durchbohrt mich innerlich, ohne mich überhaupt zu berühren… ich beginne, zu verstehen, was sie erleidet.
Als ich die Augen wieder öffne, schimmern keine Tränen mehr in den ihren. Und plötzlich ist mir der einzige Mensch, von dem ich geglaubt habe, er wäre wichtig, ohne dass ich ihn kenne, fremd.
Heute ist der Spiegel stumpf, die Erinnerung verblasst. Nur der Schmerz ist der gleiche geblieben.
n tagen.